Berlinale 2015 - Bulletin (7) - SUPERWELT

Wer schon mal in einem x-beliebigen Discount-Supermarkt an der Kasse stand, kennt diese Frauen: Mittleren Alters und darüber hinaus, unscheinbares Äußeres, eher korpulenterer Figur, mechanisch in den Handgriffen, monoton in der Stimmlage.

Stellen Sie sich solch eine Frau vor. Und fügen Sie dieser Vorstellung ein paar weitere Punkte hinzu: Hochsommer. Hitze. Eine Provinzstadt im niederösterreichischen Nirgendwo. Ein schmuckloser Supermarkt: Die Welt der Gabi Kovanda.

(c) epo Film

Ein Arbeitstag, wie scheinbar jeder andere auch, geht zu Ende: Sie schließt die Kassa (Österreichisch für Kasse), legt ihren Kittel ab, verlässt den Laden durch die Hintertür, geht zu ihrem Kleinwagen, der sichtbar etwas in die Jahre gekommen ist und auf dem ganz und gar zweckmäßig angelegten Parkplatz in der brütenden Abendsonne steht. Jemand schaut ihr zu.

Wir schauen ihr zu, logisch. Aber unsere Perspektive ist auch dieses jemand, der, dem (Aber-)Glauben nach, ja immer vom Himmel auf uns hinab schaut. Vogel- oder auch Gottesperspektive heißt diese Einstellung in der Filmsprache, wenn die Kamera von ganz oben auf das Subjekt ganz unten guckt. So wie auf Gabi, die ausparkt und über eine Landstraße zwischen prächtigen Feldern Nachhause fährt.

Warum dieser jemand ausgerechnet Gabi beobachtet ist egal. Vielleicht hat sie es verdient, wir wissen es nicht und werden es in Karl Markovics' Film SUPERWELT auch nie erfahren. Gabi übrigens auch nicht, selbst als sie erschrocken danach fragt. "Warum ausgerechnet ich?"

Binnen kurzer Zeit ist ihr Leben auf den Kopf gestellt. Die (gefühlt) unsichtbarste Frau der Welt, in ihrem prototypisch kleinbürgerlichen Einfamilienhaus, samt rauborstigem Ehemann, hat auf einmal eine heftige Affäre - mit Gott.

Doch zunächst fühlt sich Gabi, eindrucksvoll und nuanciert verkörpert von Ulrike Beimpold, einfach nur verfolgt, ganz so als ob ein Stalker ihr nachstellt. Dann glaubt sie, Geräusche aus dem Kühlschrank zu hören. Schließlich erstarrt sie ständig in den unmöglichsten Augenblicken zur Salzsäule. Für eine Frau, die sich völlig in ihren Routinen eingegraben hat und vom Leben nichts (mehr) erwartet, ein Schock.

(c) epo Film

Noch schockierender wird es für ihren Ehemann: Hannes Kovanda sieht sich auf der Zielgeraden: Die Pensionierung ist nicht mehr lange hin, die Kinder so gut wie aus dem Haus. Eine neue Küche gibt es in diesem Leben für Gabi nicht mehr, allenfalls einen neuen Kühlschrank, wie er ihr in seiner forschen Art zu verstehen gibt.

Dieses Ehepaar lebt zusammen, weil man halt schon so lange zusammenlebt. Glück ist dabei eine eher abstrakte Vokabel, mit der man möglichst wenig zu tun hat. Und dann fängt die Ehefrau plötzlich an, Stimmen zu hören.

Karl Markovics entwickelt seine SUPERWELT als ein detailliert ausgestaltetes filmisches Paralleluniversum liebevoll angefüllt mit Lakonie. Eine fantastische kleine eigene Welt unter einer sommerheißen Glocke ohne viel Horizont, dafür mit großen Windrädern. Ausbrüche kommen hier üblicherweise nicht vor und das Fernweh wird bei einem Besuch an der nahegelegenen Autobahnraststätte gestillt.

Doch Gabis Ehemann lässt sich sein geordnetes Leben und seine Ehefrau nicht so einfach wegnehmen, er kämpft um sie - gegen einen vermeintlich übermächtigen Gegner. SUPERWELT ist eine ausgezeichnet fotografierte Fabel über zwei wundervolle Menschen, die sich irgendwie verloren haben und - der amurösen Annäherung durch Gott sei Dank - wiederfinden.

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