Berlinale 2015 - Bulletin (4) - COBAIN: MONTAGE OF HECK

Wer seit Längerem der Berlinale-Sektion Panorama folgt, hat irgendwann (leidvoll) gelernt bei der persönlichen Programmzusammenstellung auf bestimmte Alarmsignale im Filmangebot zu achten. Die Daten zu COBAIN: MONTAGE OF HECK, versammeln gleich diverse Warnsignale für einen höchst ärgerlichen Film. Das Thema: ein toter Rockstar. Die Länge: 132 Minuten. Das Produktionsland: USA. Die Amerikaner können filmisch viel, doch die dokumentarische Form zählt nicht zu ihren Stärken - wenn man von wenigen Namen absieht (Benning, Wiseman bspw., die jedoch vom Auswahlgremium des Panoramas nie berücksichtigt werden würden).

(c) End Of Music LLC/IFB 2015

Das Panorama, wir wissen es, programmiert traditionell eher nach Themen und lässt das Formale eines Films (Basisfrage: Eignet sich das Werk überhaupt für eine Kinovorführung?) allzu oft unberücksichtigt. Leider. Im Fall der US-Dokus bedeutet dies stets eine - gefühlt endlose - Aneinanderreihung sprechender Köpfe vor dunklem Hintergrund plus alte Fotos, in die fortwährend hinein und heraus gezoomt wird. Je nach Thema kann vor der Kamera auch noch geweint werden. Addiert man also diese Warnsignale zusammen, hätte COBAIN: MONTAGE OF HECK nichts im persönlichen Programmlaner zu suchen. Eigentlich.

Allein, die Neugierde treibt einen dann doch hinein, denn Dokus, oder überhaupt Filme die sich mit Leben und Sterben des Nirvana-Sängers Kurt Cobain beschäftigen, gibt es bisher nur wenige. Der Filmemacher Brett Morgen, der sein Werk unter dem Dach der Doku-Abteilung des US-Kabelkanals- und Filmproduzenten HBO drehte, stellt zunächst einen Erklärtext voran: "Dieser Film enthält private Fotos, Videos, Tonaufnahmen und Notizen die von der Familie Cobain zur Verfügung gestellt wurden." Ein Ausweis der Authentizität? Um Zweifel an den Motiven des Filmemachers zu zerstreuen?

Fürwahr, um Kurt Cobain und das, was er materiell und ideell überlassen hat, ist in den 21 Jahren seit seinem Tod viel gestritten, geschrieben und berichtet worden. Im Fokus war häufig seine Ehefrau Courtney Love, der bis heute alle möglichen Vorwürfe gemacht werden. Von der Verantwortlichkeit für seinen Suizid bis zum angeblichen Ausschlachten seines Werks zu kommerziellen Zwecken, vulgo um Kohle mit dem Namen zu machen.

Diesen Streitigkeiten, das sei vorweggenommen, räumt Brett Morgen keinen Platz ein. Sein Fokus ist auf das Leben und Werden Kurt Cobains gerichtet und er tut gut daran - und auch wieder nicht. Warum? Zunächst skizziert er, wie ein hyperaktiver, hochbegabter kleiner Junge daran zerbricht, dass sich seine Eltern scheiden lassen - zu einer Zeit, in der Scheidungen in den USA gesellschaftlich geächtet waren.

Seine Hyperaktivität machte ihn in einer zerrissenen Familie zum Problemfall, der schnell von der Mutter zum Vater zu den Großeltern und wieder zurückgeschoben wurde. Der zwischen Kind und jungem Erwachsenen nie wieder so etwas, wie familiären Halt und Geborgenheit erfahren sollte

Damit waren die seelischen Verheerungen verursacht, die Kurt Cobain später auf drei Alben zu Songtexten verarbeiten sollte. Bis er schließlich selbst zugrunde ging. Man muss das an dieser Stelle nicht weiter ausführen, der Weg dieses schlaksigen, charismatischen, aber auch irgendwie eigenbrötlerischen Typen unterscheidet sich wenig von Anderen, die über Nacht zu Weltruhm gelangten und damit nicht umgehen konnten. Das sagte ihm übrigens auch seine Mutter, als Kurt ihr ein Mastertape des Albums "Nevermind" vorspielte, kurz vor dessen Veröffentlichung: "You better buckle up, cause you're not ready for this."

Brett Morgen hat sie alle vor der Kamera (selbstverständlich als sprechende Köpfe), die über Kurt Auskunft geben können - und wollen: Mutter, Vater, Schwiegermutter, erste Freundin, Bandkollege, Ehefrau. Und sie gaben ihm alles, was anstelle und für Kurt sprechen könnte. Und genau hier fängt dann das Problem an: Dieses alles. Wenn alle alles geben, was bleibt dann noch vom Toten? Der ist tot, dem kann es egal sein.

Doch was macht das mit uns als Zuschauern, die wir hier selbst das verdrogt-destruktivste kleine Gekritzel in einem Notizbuch noch visualisiert und stilisiert vorgeführt bekommen? Die wir seine Stimme hören in seinen Mixtapes, in denen er als spät pubertierender seine suizidale Isolation mit Foundfootagekollagen verarbeitet. Warum sollen wir hier gefühlt bis fast in die Unterwäscheschublade Kurt Cobains schnüffeln, wo doch der Sänger selbst immer wieder betonte, alles, was er zu sagen hätte, würde in seinen Songtexten stecken?

Hat denn niemand aus dieser Familie - und es ist ja die Familie verantwortlich, wie uns der Regisseur zu Beginn wissen lies - überlegt, dass manches vielleicht doch privat bleiben sollte, weil es eben doch zu intim ist. Hat keiner von denen darüber nachgedacht, dass auch Tote, selbst tote, sich selbst umbringende (Punk-)Rock-Stars ein Recht auf Intimsphäre und einen kleinen Rest Geheimnis haben? Dass das, was sie einst für sich in ihre Notizhefte schrieben, auch dort bleibt? Offenkundig nicht. COBAIN: MONTAGE OF HECK erzählt deshalb nicht nur viel zu viel über Kurt Cobain, sondern auch mehr als man wissen möchte über diese Familie und einen Filmemacher, der das alles begierig aufnahm.

COBAIN: MONTAGE OF HECK | USA 2015 | Brett Morgan | 132' | PANORAMA DOKUMENTE